In der sich ständig beschleunigenden Welt, in der wir leben, fühlen sich viele Menschen zunehmend verloren und abgehängt. Trotz der Allgegenwart der sozialen Medien steigt die Rate von Angststörungen und Depressionen seit Jahren. Als potentielles Gegenmittel gegen diesen Verlust der Beziehung zu sich selbst und anderen erfahren Psychedelika eine Renaissance in Wissenschaft und Medizin: Sie können eine Möglichkeit anbieten, fehlgeleitete Lebensentscheidungen zu erkennen, und neue, sinnstiftende Muster in die Struktur unserer sozialen Beziehungen einzuweben.
Wie sind psychedelische Substanzen in der Lage, das zu tun? In den folgenden Abschnitten werde ich argumentieren, dass ein grundlegendes Prinzip psychedelischer Substanzen Verbindung ist – oder sogar Wieder-Verbindung. Diese Wieder-Verbindung wirkt auf verschiedenen Ebenen: der biologischen, der psychologischen, der gesellschaftlichen und der ökologischen.
Die biologische Ebene
Machen wir einen kleinen Zaubertrick. Bitte nimm eine entspannte, bequeme Stellung ein und tu Folgendes:
Denk an deine Lieblingsspeise. Stell dir die Textur vor, die verschiedenen Aromen, die Farben, den Geruch. Versuche ganz in der köstlichen Erfahrung zu verweilen, die dir diese Speise bereitet
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Ein ziemlich cooler Trick, oder? Dein Gehirn hat eine Art virtueller Realität ohne eine Spezialbrille zu benötigen! Diese virtuelle Realität, die Speise, an die du vor zehn Sekunden gedacht hast, wird durch die Interaktion von Neuronen im Gehirn erzeugt. Mit diesem Beispiel vor Augen werfen wir einen Blick darauf, wie die „Verschaltung“ der Neuronen uns helfen kann, Depression zu verstehen.
Depression ist assoziiert mit einer Veränderung der neuronalen Konnektivität, unter anderem, in Hirnregionen, die Neurowissenschaftler das Standardzustand-Netzwerk nennen. Dieses Netzwerk – wie der Name nahelegt – ist aktiv in unserem Standardzustand: Wenn wir tagträumen, über uns selbst nachdenken, oder unseren Geist wandern lassen. Auf der anderen Seite, wenn wir mit einer Aufgabe beschäftigt sind, die Konzentration auf einen spezifischen externen Reiz erfordert, ist die Aktivität dieses Standardzustand-Netzwerks reduziert und andere Hirnareale zeigen verstärkte Aktivität. Es ist diese Fluidität der funktionalen Konnektivität, die den gesunden Geist ausmacht.
Bei depressiven Patienten ist diese Fluidität jedoch reduziert bis hin zu Starrheit. Die Denkbewegung verändert sich dramatisch hin zu permanent negativen Denkmustern, insbesondere über uns selbst. Zugleich wird es schwierig, an etwas Angenehmes zu denken – wie zum Beispiel eine Lieblingsspeise – wenn das Denken in solch einer Negativschleife gefangen ist. Faszinierender Weise sind Psychedelika im Stande die Starrheit in dem Standardzustand-Netzwerk zu lösen, Hirnregionen zu ermöglichen wieder auf eine Art miteinander in Verbindung zu treten, die einer normalen Dynamik entspricht.8,9 Tatsächlich scheinen psychedelische Substanzen selektiv neuronale Konnektivität auf der molekularen Ebene zu verstärken. Dies bedeutet, dass sie vielleicht neuronale Pfade wieder-verbinden können, die während einer langen depressiven Phase verloren gegangen sind. Man kann verstehen, wie dieser Effekt auf die neuronale Konnektivität sich als vermehrtes Wohlbefinden äußert beim Blick auf …
Die psychologische Ebene
In einer ihrer Publikationen hat die von Dr. Robin Carhart-Harris geleitete Forschungsgruppe das Ego definiert als “das Gefühl eine unveränderliche Identität oder Persönlichkeit zu besitzen; höchst vereinfacht, das Ego ist unser „Ich-Gefühl”. Für jeden von uns fasst das Ich-Gefühl eine Reihe mentaler Prozesse zusammen: Das Gefühl einen Körper zu haben, sich an vergangene Erfahrungen zu erinnern, Gefühle zu empfinden oder die Zukunft zu planen. Ein Ego zu haben, das mit diesen mentalen Prozessen assoziiert ist, ist normaler Weise kein Problem. Aber Störungen wie Depression entstehen, wenn das Ego das Lenkrad übernimmt auf der Autobahn der Kognition und bei jeder Gelegenheit in Richtung negativen Denkens steuert. Diese illusionäre und falsche Identifikation von (negativen) Gedanken mit Ich-Gefühl ist, wie irrtümlich das Bild eines Objekts für das Objekt selbst zu halten, sehr schön illustriert durch René Magrittes berühmtes Bild „Die Heimtücke der Bilder”:
Einfach gesagt: Genauso wenig wie es in diesem Bild eine Pfeife gibt, genauso wenig gibt es ein Ego oder ein Selbst in einem Gedanken.
Carhart-Harris und Forschungsgruppe postulieren weiterhin,dass die Funktion des Standardzustand-Netzwerks mit der Funktion des Ego korreliert. Er schreibt:
„INSBESONDERE SCHLAGEN WIR VOR, DASS INNERHALB DES STANDARDZUSTAND-NETZWERKS DIE RUHEZUSTANDS-KONNEKTIVITÄT UND DIE SPONTANE, SYNCHRONE OSZILLATIONSAKTIVITÄT IM POSTERIOREN CINGULÄREN CORTEX (PCC), VOR ALLEM IM ALPHA (8–13 HZ) FREQUENZBEREICH ALS NEURALE KORRELATE VON EGO INTEGRITÄT BETRACHTET WERDEN KÖNNEN.”
Das bedeutet, dass unser Ich-Gefühl mit der Aktivität in einem funktionalen neuronalen Netzwerk assoziiert ist, die durch Alpha-Bereichs-Aktivität zusammengehalten wird und ein gut orchestriertes Muster (synchrone Oszillationsaktivität) bildet. Wie oben erklärt, ist ein depressives Gehirn partiell charakterisiert durch ein zu starres Standardzustand-Netzwerk, das zu den psychologischen Belastungen führt, die diese Patienten zu ertragen haben. Mit anderen Worten, deprimierte Patienten leiden unter einem Ego, das zu dominant ist. Was passiert dann, wenn Psychedelika temporär die Fäden zerschneiden, die das Ego zusammenhalten? Ein deprimierter Patient, der sich einer Psilocybin-unterstützten Psychotherapie-Sitzung unterzog, gibt die Antwort:
“DIESE VERBINDUNG, ES IST EINFACH EIN SCHÖNES GEFÜHL. DIESES GEFÜHL VON VERBUNDENHEIT, WIR SIND MITEINANDER VERBUNDEN.” (MANN, 52 JAHRE ALT).
Eine denkbare Erklärung für dieses verstärkte Gefühl der Verbundenheit ist, dass Psychedelika das Gehirn in einen Zustand höherer Entropie zu bringen scheinen, definiert als eine Zunahme an möglichen Verbindungen zwischen Regionen. Sie scheinen einen Kollaps des normalen Aktivitätsmusters in dem Standardzustand-Netzwerk und des subjektiv erfahrenen Egos zu induzieren (siehe Abbildung 2). Eine Konsequenz dessen scheint ein größeres Gefühl der Verbundenheit mit der Umwelt zu sein. Diese Umwelt könnten andere Menschen sein (Gesellschaft) oder die umgebende Natur (Ökologie).
Die soziale Ebene
Timothy Learys Zitat “turn on, tune in, drop out” war der berühmte Dreischritt der 1960er psychedelischen Gegen-Kultur, der viele Leute in die neuartige Welt der psychedelischen Erfahrung führte. Wenn auch die politischen Konsequenzen dieser Parole kontrovers sein mögen, neuste Forschungsergebnisse erhellen, warum sie in Zusammenhang mit Psychedelika so attraktiv war. Neuste psychologische Forschung hat inzwischen gezeigt, dass LSD soziale Kognition verändert, indem es Offenheit, Vertrauen, Empathie, prosoziales Verhalten, das Verlangen, mit anderen Menschen zusammen zu sein und die empfundene Nähe zu anderen verstärkt. Es ist daher nicht überraschend, dass Menschen, die diese bisher unbekannte, intensiv veränderte Wahrnehmung ihrer selbst mit anderen teilten, sich in Diskussionen darüber engagierten, wie eine neue, bessere Gesellschaft geschaffen werden könnte.
Die Tragödie war, dass die Entdeckung von LSD nur 30 Jahre alt war, und es noch kein Handbuch zur Schadensminimierung für psychedelische Rituale gab. Die versprochene befreiende Wirkung auf den Geist war so attraktiv, dass viele Leute Psychedelika auf eine unverantwortliche Weise nahmen, was zu der politischen Denunziation psychedelischer Substanzen durch die Regierung von Richard Nixon führte. Wie das endete, ist gut dokumentiert: Die wissenschaftliche Untersuchung der medizinischen Anwendung von Psychedelika wurde für mehrere Jahrzehnte unterbunden.
Inzwischen gibt es Anzeichen, dass der Gebrauch von Psychedelika in medizinischem Umfeld und als Freizeitaktivität in den USA allmählich entkriminalisiert wird. Wir sollten nicht die Gelegenheit verpassen, zu diskutieren, wie man diese Werkzeuge für persönliche und gesellschaftliche Entwicklung in unserer Kultur nutzen kann, bevor die Welle der Entkriminalisierung Europa erreicht. So können wir versuchen, den Mangel an Schadensminimierung zu vermeiden, der die verantwortliche Integration von Psychedelika in die Gesellschaft in früheren Generationen behindert hat. Vielleicht sogar noch wichtiger, die sichere Einführung psychedelischer Erfahrungen in die Gesellschaft wird uns die Wieder-Verbindung ermöglichen zu …
Der ökologischen Ebene
Wie sind Psychedelika und ökologische Anliegen miteinander verbunden? Manche Menschen glauben, dass psychedelische Substanzen die Verbundenheit mit der Natur verstärken könnten, indem sie die Ich-Grenzen aufheben, was zur Einbeziehung der Natur in die Selbstidentifikation führt. Dieser Effekt wird in dem folgenden Patientenbericht beschrieben:
“VOR [DER PSYCHEDELISCHEN ERFAHRUNG] ERFREUTE ICH MICH AN DER NATUR, JETZT FÜHLE ICH MICH ALS TEIL VON IHR. VORHER SAH ICH SIE AN WIE EIN DING, WIE FERNSEHEN ODER EIN GEMÄLDE. [ABER] DU BIST EIN TEIL VON IHR, ES GIBT KEINE TRENNUNG ODER UNTERSCHIED, DU BIST SIE.”
Es gibt zunehmend Belege für die Theorie, dass Psychedelika die Verbundenheit mit der Natur steigern. In einer kleinen Studie an Patienten mit therapieresistenter Depression, wurde gezeigt, dass Naturbezogenheit und Autoritarismus nach der Verabreichung von Psilocybin für bis 12 Monate verstärkt, beziehungsweise vermindert waren. In einer großangelegten Onlinestudie der Allgemeinbevölkerung berichteten Teilnehmer, dass ihr Gebrauch von Psychedelika ihre Selbstidentifikation mit der Natur verstärkt hatte, was wiederum mit umweltfreundlichem Verhalten assoziiert war. Eine andere Untersuchung fand, dass entsprechende Haltungen und Ansichten, wie der Persönlichkeitszug „Offenheit” und liberale politische Ansichten positiv mit der Einnahme von Psychedelika korreliert waren, obwohl das Ausmaß dieses Effekts nicht überschätzt werden sollte.
Es ist nach wie vor Gegenstand der Diskussion, ob die Beziehung zwischen Naturbezogenheit und Psychedelika kausal ist oder eine Korrelation. Allerdings deuten vorläufige Ergebnisse darauf hin, dass zusätzlich zu den positiven Wirkungen auf gesunde Individuen, Kontakt mit der Natur bei der Behandlung von Depression die Erfolgsrate signifikant erhöhen könnte. Eine gründliche und tiefer gehende Übersicht über Psychedelika und Naturbezogenheit findet sich anderswo.
Die Punkte verbinden
In der zunehmenden Anzahl von Studien über Psychedelika aus den letzten beiden Jahrzehnten ist Verbindung ein wiederkehrendes Thema. Psychedelika erleichtern neue Verbindungen von Neuronen, was zu höherer Konnektivität zwischen bestimmten Hirnregionen führt. Diese Effekte könnten der Kern der antidepressiven Wirkung von Psychedelika sein und möglicherweise ihr generelles therapeutisches Potential.
In Aldous Huxleys Roman Eiland basiert eine utopische Gesellschaft ihre ökologischen Anschauungen auf dem Gebrauch von psychedelischen Pilzen. Ebenso könnte der sinnvolle und ethisch aufgeklärte Gebrauch von Psychedelika den Menschen helfen, wieder eine Verbindung zu ihrer sozialen und ökologischen Umwelt zu finden. Wenn wir fortfahren, sorgsam und kritisch den wissenschaftlichen Fortschritt und die gesetzgeberischen Veränderungen in Bezug auf Psychedelika zu untersuchen, können wir langsam der Vision der MIND Foundation näherkommen: eine gesündere und vernetztere Welt.